In unseren beiden letzten Tagebucheinträgen untersuchten wir die Auswirkungen der Ausgangssperren in Frankreich und Großbritannien auf die dortigen Ernährungsgewohnheiten. In beiden Ländern zeigte sich ein ähnliches Bild: Sei es aus Notwendigkeit oder aus Vergnügen – eine neue Personengruppe besuchte nun Rezepte-Websites. Die aufgerufenen Rezepte waren entweder simpler als zuvor oder aber genussorientierter.
Nun richten wir den Blick auf Deutschland1 – sind dort ähnliche Effekte zu beobachten?
Wir analysierten vier Rezepte-Websites. Alle verzeichneten seit Beginn der Beschränkungen deutlich mehr Besuche: gutekueche.de (+73 % Seitenaufrufe), backenmachtgluecklich.de (+47,1 %), essen-und-trinken.de (+25,6 %) und kochbar.de (+11,0 %).
Die Reichweite der Websites wuchs allerdings weitaus weniger stark an – im Schnitt lediglich um +2 %.
Ein deutlicher Unterschied bleibt zwischen den Geschlechtern bestehen– die Corona-Krise scheint bei Männern weiterhin nicht die Lust am Kochen geweckt zu haben. Im Allgemeinen bleiben die Besuchergruppen der Food-Websites unverändert.
Im Gegensatz zu Frankreich und Großbritannien stellten wir in Deutschland allerdings einen signifikanten Rückgang der Besuchsdauer auf den einzelnen Websites fest. Hierzulande verbrachten die User statt durchschnittlich 9,67 Minuten nun nur noch 6,54 Minuten auf der jeweiligen Website.
Lässt dies eine Aussage über ein verändertes Ernährungsverhalten zu? Mit dieser Frage im Hinterkopf analysierten wir den Inhalt der jeweiligen Websites2 hinsichtlich der einzelnen Rezepte und der Zubereitungszeit. Die folgende Grafik zeigt beispielhaft die analysierten Informationen (in gelb).
In Frankreich und Großbritannien verringerte sich die durchschnittliche Zubereitungszeit der Rezepte. Nicht jedoch in Deutschland: Vor Beginn der Beschränkungen stand ein Gericht (zumindest theoretisch) nach ca. 51 Minuten auf dem Tisch. Seit Mitte März sind es 66,03 Minuten. Ebenso stieg der Anteil der Rezepte, für die man mehr als 2 Stunden einkalkulieren sollte: 6 % (zuvor) vs. 9,5 %.
Zwei Rezept-Arten erklären diesen Unterschied. Zunächst traditionelle Rezepte, die Marinaden oder langsames Garen erfordern. Zum anderen Rezepte für Zubereitungen, die normalerweise gebrauchsfertig gekauft werden, nun aber selbstgemacht werden: so z.B. Joghurt oder sogar Honig und Sauerteig.
Ein Vergleich der einzelnen Rezepte vor und nach Beginn der Beschränkungen zeigt einige Unterschiede auf.
vor Beginn der Beschränkungen
seit den Beschränkungen
In beiden Fällen finden wir Klassiker der deutschen Küche (Sahne, Sauce, Suppe) sowie verschiedene Kuchen. Zwei große Unterschiede stellen sich heraus: Überrepräsentiert sind Brot – ein typisches Gericht, das nicht unbedingt raffiniert sein muss (d.h. das mit wenig Zubereitungsschritten einhergeht – siehe den Rückgang der Besuchsdauer auf den einzelnen Rezeptseiten, aber dennoch eine eher zeitintensive Angelegenheit ist) sowie Gerichte, die auf einfachen Grundnahrungsmitteln basieren. Es scheint weniger Fleisch auf den Tellern zu landen und auch die Anzahl der verschiedenen Fleischsorten hat sich verringert. Das Osterlamm taucht kaum auf, auch Spargel ist weitaus seltener vertreten.
In Großbritannien und Frankreich zogen die Ausgangssperren eine neue Personengruppe in die Küche. In Deutschland ist dies nicht der Fall. Es ist dieselbe Personengruppe, die kocht, sie investiert nun aber mehr Zeit als zuvor in die Zubereitung. Grundnahrungsmittel nehmen einen hohen Stellenwert ein. Das häufigere Brotbacken kombiniert diese beiden Aspekte, und nicht zuletzt eignet sich Brot natürlich perfekt zur Selbstversorgung.
Es bleibt zu mutmaßen, ob dieser kleine Einblick in die deutsche Küche während der Corona-Krise über eine Darstellung des Essverhaltens hinausgeht. Vielleicht steht er auch für die Trends der aktuellen Zeit – Entschleunigung, back to basics, Selbstversorgung?
respondi Deutschland
1 Seit 2016 tracken wir das Internetnutzungsverhalten eines Teils unseres deutschen Panels. Unsere Panelisten haben eingewilligt, eine Software/eine App auf ihren Endgeräten zu installieren.
Um saisonale Effekte zu vermeiden, vergleichen wir die Daten des Zeitraums 23.03.-26.04.2020 mit der Vorjahresperiode. Beide Stichproben sind national repräsentativ (Geschlecht, Alter). 2019: n=1.805, 2020: n= 1.583
2 859 Rezepte insgesamt